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Künstler oder nicht Künstler

Bundessozialgericht urteilt zur Pflichtmitgliedschaft in der Künstlersozialversicherung
Künstler oder nicht Künstler
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08.07.2024 — zuletzt aktualisiert: 12.07.2024

Künstler oder nicht Künstler

Bundessozialgericht urteilt zur Pflichtmitgliedschaft in der Künstlersozialversicherung

Ob jemand Künstler ist oder nicht, ist nicht nur eine Frage des Selbstbildes. Auch der Gesetzgeber hat sich Gedanken gemacht. Denn von dieser Frage hängt nicht nur das eigene Selbstverständnis, sondern auch ganz praktisch die Frage ab, ob jemand als Künstler pflichtversichert in der Künstlersozialversicherung ist. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in drei Entscheidungen vom 27. Juni 2024 hierbei Aussagen zu einer Tätowiererin (B 3 KS 1/23 R), Flamencotänzerin (B 3 KS 1/22 R) und freien Hochzeitsrednerin (B 3 KS 2/22 R) getroffen.

Ist das Kunst oder kann das weg?

Was Kunst ist, liegt ja bekanntermaßen im Auge des Betrachters. Doch für die Zwecke der Künstlersozialversicherung hat der Gesetzgeber eine Definition vorgegeben. Künstler in diesem Sinne ist, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Selbständige Künstler, aber auch Publizisten, werden in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben. Darüber hinaus dürfen sie im Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufsausbildung oder ist geringfügig.

Lehre von Flamencotanz kann Kunst sein

Im ersten Fall geht es um eine Flamencotänzerin, die hauptberuflich eine Flamenco-Schule betreibt und auch noch als Tänzerin auftritt. Zunächst ist der Flamencotanz als Kunst anzuerkennen, stellte das BSG klar. Tanz ist mehr als nur Ballett, bedarf aber als Tanzkunst der Abgrenzung zum Tanzsport. Bei diesem steht typischerweise für die Akteure der Wettkampfgedanke im Vordergrund und es bestehen Regeln und Wertmaßstäbe aus dem Bereich des Sports.

Der wirtschaftliche Schwerpunkt der Tätigkeit der Tänzerin liegt jedoch in der Lehre. Auch für das Unterrichten von Flamenco als Lehre von Kunst bedarf es einer Abgrenzung, hier der von Tanzunterricht und Sporttraining. Nur weil die Ausübung von Flamenco Kunst sein kann, muss es nicht auch stets dessen Lehre sein. Abzugrenzen ist danach, ob es im Schwerpunkt um auf sportliche Fitness zielendes Training oder um die Vermittlung von Fähigkeiten zur eigenen Präsentation von Bühnentanz geht. Unerheblich ist, ob angehende Berufstänzer oder Laien unterrichtet werden, die das Gelernte nur für Freizeitzwecke verwenden wollen.

Im Urteilsfall lehrt die Tänzerin nach Würdigung der Gesamtumstände als erfahrene Bühnentänzerin in ihrer Tanzschule darstellende Kunst und ist daher in der Künstlersozialversicherung pflichtversichert.

Eine Künstlerin, die auch tätowiert

Im zweiten Fall beschäftigte sich das BSG mit einer diplomierten Designerin, die den überwiegenden Anteil ihrer Einnahmen als Tätowiererin erzielt. Darüber hinaus ist sie als Illustratorin und Zeichnerin selbständig tätig. Sie nahm an Ausstellungen teil und gewann hierbei auch Preise. Die Künstlersozialkasse lehnte eine Aufnahme ab.

Das BSG führte zunächst einmal grundsätzlich aus, dass es an seiner Rechtsprechung festhält, wonach das Tätowieren grundsätzlich keine Künstlereigenschaft begründet. Nach wie vor ist nicht jedes Tattoo Kunst und nicht jeder Tätowierer Künstler. Danach ist das Tätowieren trotz einer kreativen Komponente eine handwerkliche Tätigkeit im weiteren Sinne, weil der Schwerpunkt auf dem Einsatz manuell-technischer Fähigkeiten liegt.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine Ausnahmen von diesem Grundsatz gibt. Ausnahmen gelten für Tätowierer, bei denen der Entwurf des individuellen Motivs und dessen Umsetzung in einem Tattoo als Unikat zu einem Gesamtkunstwerk verwoben sind. Erforderlich hierfür ist, dass die Person künstlerisch ausgebildet oder als Künstler anerkannt ist. Hinzukommen muss, dass sich bei ihnen zwischen Kunst und Handwerk nicht trennen lässt und das Tätowieren nicht die bloße technische Umsetzung einer kreativen Idee ist. Motiv und Tätowierung bilden vielmehr ein Gesamtkunstwerk und bleiben ein Unikat, das nicht weiter produziert und vermarktet wird.

Diese Kriterien erfüllte die Designerin und Tätowiererin im vorliegenden Fall und war daher in der Künstlersozialkasse pflichtversichert.

Freie Hochzeitsreden sind keine Kunst

Damit der angeblich schönste Tag des Lebens auch ganz sicher individuell wird, buchen viele Paare freie Hochzeitsredner. Doch so kunstvoll und schön die Gestaltung auch sein mag, für das BSG sind freie Hochzeitsredner keine Künstler und daher nicht in der Künstlersozialversicherung pflichtversichert.

Nach Ansicht des BSG ist das Halten von Reden keine künstlerische Tätigkeit. Als darstellende Künstler anerkannt werden können nur dem Schauspieler vergleichbare Sprecher wie Rezitatoren, Märchenerzähler oder Vorleser, die stimmlich und sprachlich auf die zu sprechenden Werke einwirken und diese nicht unerheblich künstlerisch gestalten. Daran fehlt es bei freien Hochzeitsrednern, weil nicht die Form ihres Vortrags den Schwerpunkt der Tätigkeit bildet, sondern der Gegenstand und Inhalt im Vordergrund stehen.

Auch eine Einstufung als Publizistin schied im Streitfall aus. Denn dafür wäre ein Öffentlichkeitsbezug des Werkes an sich notwendig. Daran fehlt es bei Hochzeitsreden, die anders als Texte von Schriftstellern und Journalisten schon ihrem Zweck nach nicht auf eine Verbreitung in der Öffentlichkeit zielen, sondern sich auch bei freien Trauungen typischerweise an das Brautpaar und deren Gäste richten.

Die Rednerin, die den überwiegenden Anteil ihrer Einnahmen als selbständige Hochzeitsrednerin bei freien Trauungen erzielt, übt nach Ansicht des BSG somit weder darstellende Kunst aus noch ist sie publizistisch tätig. Eine Pflichtversicherung kam daher nicht in Frage.

Hinweis: In der Künstlersozialversicherung Pflichtversicherte haben einen einkommensgerechten Beitrag zu zahlen. Dieser Beitrag wird – vergleichbar einem Arbeitgeberanteil – von der Künstlersozialkasse aufgestockt. Dieser Aufstockungsanteil wird zum einen durch die sogenannten Verwerter finanziert, also über die Künstlersozialabgabe, die Unternehmen für bezogene künstlerische Leistungen zahlen müssen und zum anderen über einen Bundeszuschuss. Im Unterschied zu anderen pflichtversicherten Unternehmern müssen pflichtversicherte Künstler ihre Beiträge somit nicht alleine tragen.

Tipp: Wie Tänzer, Tätowierer und Hochzeitsredner steuerlich zu behandeln sind, erfahren Sie in einem weiteren Beitrag. Denn die Einordnung als Künstler in der Künstlersozialkasse muss noch nicht zwangsläufig bedeuten, dass einkommensteuerlich auch eine selbständige Tätigkeit vorliegt.

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