Kindergeld nach Erstausbildung
Die Frage, wann eine Erstausbildung abgeschlossen ist, spielt im deutschen Einkommensteuerrecht an zwei Stellen eine Rolle. Einmal bei der Frage, ob Berufsausbildungskosten als Werbungskosten oder nur als Sonderausgaben abzugsfähig sind und bei der Frage, ob weiterhin Anspruch auf Kindergeld besteht. In vielen Urteilen ringen Richter und Gesetzgeber immer wieder um die richtige Interpretation der Regelungen. So auch im Urteil des Finanzgerichts Münster vom 6. Juni 2024 (13 K 1080/23) zu der Frage, ob eine Rettungshelferausbildung bereits eine Erstausbildung darstellt und nachfolgend noch Kindergeldanspruch besteht. Die Revision zum Bundesfinanzhof wurde zugelassen.
Definition der Erstausbildung für die Berücksichtigung von Werbungskosten
Seit dem Jahr 2015 müssen Erstausbildungen bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um als solche für den Zweck des Werbungskostenabzugs einer Zweitausbildung anerkannt zu werden. Anderenfalls ist nur ein Sonderausgabenabzug in Höhe von maximal 6.000 Euro jährlich möglich. Dabei sind die Voraussetzungen jedoch nicht identisch mit denen der Abgrenzung von Erst- und Zweitausbildung beim Kindergeld.
Eine Berufsausbildung als Erstausbildung liegt für Zwecke des Werbungskostenabzugs vor, wenn eine geordnete Ausbildung mit einer Mindestdauer von 12 Monaten bei vollzeitiger Ausbildung und mit einer Abschlussprüfung durchgeführt wird. Ist eine Abschlussprüfung nach dem Ausbildungsplan nicht vorgesehen, gilt die Ausbildung mit der tatsächlichen planmäßigen Beendigung als abgeschlossen.
Erstausbildung beim Kindergeldanspruch abweichend geregelt
Anders sind die Regelungen beim Kindergeldanspruch. Ein über 18 Jahre altes Kind, das das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen kann, kann weiter steuerlich als Kind berücksichtigt werden und Anspruch auf Kindergeld haben.
Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis sind dabei unschädlich.
Rettungshelferausbildung während eines Freiwilligendienstes
Im Streitfall absolvierte der Sohn des Steuerpflichtigen nach Abschluss der Schule einen Bundesfreiwilligendienst in dessen Rahmen er eine mehrwöchige Ausbildung zum Rettungshelfer durchlief. Danach begann er eine Ausbildung zum Mechatroniker, die noch in der Probezeit beendet wurde. Anschließend bewarb sich der Sohn bei verschiedenen Ausbildungsstellen für eine Ausbildung als Notfallsanitäter. Er arbeitete währenddessen Vollzeit beim DRK als Sanitätshelfer und bestand zudem die staatliche Prüfung zum Rettungssanitäter.
Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung mit der Begründung auf, dass die Suche nach einem Ausbildungsplatz beendet sei. Der Abschluss als Rettungshelfer sei als erstmalige Berufsausbildung einzuordnen und der Sohn gehe danach einer schädlichen Vollzeittätigkeit nach.
Der Steuerpflichtige legte dagegen Einspruch ein. Die Ausbildungsplatzsuche sei noch nicht abgeschlossen, da noch keine Ausbildung abgeschlossen wurde und der Sohn sich weiter um eine Ausbildung als Notfallsanitäter bemühe. Diese Bemühungen waren im Laufe des Verfahrens erfolgreich, wie der Steuerpflichtige nachwies.
Ausbildung muss Berufsausübung ermöglichen
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Sohn mangels Ausbildungsplatzes eine Berufsausbildung zum Notfallsanitäter nicht beginnen konnte und daher grundsätzlich beim Kindergeld berücksichtigt werden konnte. Strittig war lediglich, ob der Sohn bereits eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen hat und die an die Rettungshelferausbildung anschließende Vollzeittätigkeit daher schädlich für den Kindergeldanspruch war.
Das Finanzgericht folgte der Sicht der Familienkasse. Eine Berufsausbildung liege vor, wenn das Kind durch eine berufliche Ausbildungsmaßnahme die notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse erworben habe, die zur Aufnahme eines Berufs befähigten.
Es sind für die Beurteilung des Kindergeldanspruchs bei der Definition der Erstausbildung nicht die gleichen Kriterien zu Grunde zu legen, wie für den Werbungskostenabzug. Der Ausbildungsgang zum Rettungshelfer erfolgte in einem öffentlich-rechtlich geregelten Ausbildungsgang. Der Ausbildungsgang schloss mit einer Abschlussprüfung ab. Dass es sich hierbei nicht um einen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf im Sinne des Berufsbildungsgesetzes handelt, ist unschädlich. Es ist ebenfalls ohne Relevanz, dass der Abschluss zum Rettungshelfer innerhalb weniger Wochen im Rahmen bzw. während eines Bundesfreiwilligendienstes erfolgte. Durch die Ausbildungsmaßnahme wurden Fähigkeiten und Kenntnisse erlangt, die den Sohn zur Aufnahme eines Berufs befähigten und nicht mehr nur als allgemein berufsqualifizierend eingeordnet werden können. Ein Kindergeldanspruch bestand somit nicht mehr.
Mehrteilige Ausbildung muss eng miteinander verbunden sein
Ein anderes Ergebnis ergibt sich aus Sicht der Finanzrichter auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BFH. Danach können mehrere Ausbildungsabschnitte bzw. Ausbildungsmaßnahmen eine einheitliche Erstausbildung darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann.
Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinanderstehen und in einem engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Die Ausbildungsmaßnahmen zum Rettungshelfer, Rettungssanitäter und Notfallsanitäter haben aus Sicht der Richter einen engen sachlichen Zusammenhang zueinander, da sie dieselbe Berufssparte betreffen und die jeweils vorher vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten in den weiteren Ausbildungsmaßnahmen intensiviert und vertieft werden.
Die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nach Abschluss des Ausbildungsgangs zum Rettungshelfer erfolgten vorliegend jedoch erst nach einer anderen fachfremden Ausbildung zum Mechatroniker. Erst nachdem diese Ausbildung vorzeitig beendet wurde, fasste der Sohn den Entschluss, sich um eine weitere Ausbildung im Bereich des Rettungsdienstes zu bemühen. Die Kriterien für eine mehrteilige Ausbildung (Notfallsanitäter) waren aufgrund dieser kurzen Zäsur bzw. Unterbrechung (fachfremden Ausbildung zum Mechatroniker) ebenfalls nicht erfüllt, so dass kein Kindergeldanspruch bestand.
Hinweis: Vor dem BFH sind zwei Revisionsverfahren zu den Fragen anhängig (III R 7/24 und III R 14/24), ob eine wenige Wochen bis Monate dauernde Ausbildung bzw. Qualifikation zur Rettungssanitäterin zum „Verbrauch“ der Erstausbildung führen kann und ob die Definition einer Erstausbildung für den Werbungskostenabzug (Mindestdauer von 12 Monaten bei vollzeitiger Ausbildung und mit einer Abschlussprüfung ) ggf. auch für das Kindergeldrecht gilt.