Teil 2 der Interviewreihe über die Folgen des Ukraine-Krieges für die Landwirtschaft mit ETL Agrar & Forst-Leiter Benjamin Hummel
Die Ukraine galt einst als Kornkammer Europas und ist noch heute der fünftgrößte Exporteur von Weizen der Welt. Der weltgrößte Weizenexporteur ist Russland. Beide Länder sind aber auch wichtige Exporteure von Saatgut, Futter- und Düngemitteln. Mit dem Angriff auf die Ukraine und den infolge dessen verhängten Sanktionen gegen Russland drohen nun gravierende Versorgungsengpässe und Preissteigerungen weltweit und natürlich auch in Deutschland.
In einer zweiteiligen Interviewreihe wollen wir mit dem ETL Agrar & Forst-Leiter und Agrarökonom Benjamin Hummel über die Folgen des Ukraine-Krieges für die deutsche Landwirtschaft sprechen. Im ersten Teil des Interviews widmen wir uns den kurzfristigen Auswirkungen: mögliche Versorgungsengpässe bei Nahrungsmitteln sowie Futter- und Düngemitteln, steigende Kosten und Preise, drohende Ernteausfälle.
Im zweiten Teil des Interviews wollen wir wissen: Wie kann der Landwirtschaft geholfen werden? Welche Maßnahmen müssen vonseiten der Politik jetzt ergriffen werden, um gegenzusteuern? Werden die Kriegsfolgen zum Problem für die ökologische Transformation der Landwirtschaft? Und was können die Betroffenen jetzt tun?
Die durch den Ukraine-Krieg verschärfte Versorgungskrise in weiten Teilen der Welt lassen nun Stimmen laut werden, die eine Neu- bzw. Umorientierung der Landwirtschaft fordern – weniger Öko, weniger Nachhaltigkeit und Umweltschutz, dafür mehr Versorgungssicherheit und Ausweitung der Nahrungsmittelproduktion. Wie bewertest du diese Debatte?
Mit der aktuellen Entwicklung kollidieren Spannungsfelder Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit für Betriebe und Umweltschutz noch mehr als ohnehin schon. Da die genannten Auswirkungen des Krieges langfristige Folgen mit sich bringen werden, könnte eine zumindest stellenweise Neu-Priorisierung zwischen Versorgungssicherheit und Umweltschutz angeraten sein. Es muss aber betont werden: Der Klimawandel ist für die Landwirtschaft eine mindestens ebenso große Katastrophe wie der Krieg. Bei allen Versuchen, die durch den Ukraine-Krieg auftretenden Probleme zu lösen, darf der Kampf gegen den Klimawandel nicht ausgeblendet werden. Es muss ein Kompromiss gefunden werden zwischen der Sicherstellung der Lebensmittelversorgung und der ökologischen Transformation. Denn der eingeschlagene Weg zu mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz darf jetzt nicht verlassen werden. Das Stichwort lautet meiner Meinung nach: Regenerative Landwirtschaft.
„Bei allen Versuchen, die durch den Ukraine-Krieg auftretenden Probleme zu lösen, darf der Kampf gegen den Klimawandel nicht ausgeblendet werden.“
Was hörst du von den Landwirten, mit denen du in Kontakt stehst?
In den Gesprächen mit meinem Mandantenkreis in den letzten Tagen habe ich gehört, dass sich die Probleme mit Düngemitteln verschärft haben. Dünger war schon vor dem Krieg teuer und hat viele dazu gezwungen, weniger davon einzukaufen. Das verschärft sich jetzt, woraus man durchaus den Rückschluss ziehen kann, dass ein geringeres Ernteniveau in diesem Jahr zu erwarten ist. Hinzu kommen Sorgen vor dem Wetter und den Boten des Klimawandels: Sollten wir dieses Jahr wieder in eine Dürre wie 2018 hineinschlittern, als viele Landwirte nur die Hälfte ernten konnten, vergrößert sich das Problem.
Große Unsicherheit stellt nun die europäische Agrarpolitik dar. Die Abwägung, wie in der GAP-Reform vorgesehen, ab diesen Herbst mindestens 4 Prozent der Ackerflächen stillzulegen, also aus der Produktion zu nehmen, steht sehr im Konflikt mit der eigentlichen Hauptaufgabe, der Sicherung der Versorgung mit einheimischen Lebensmitteln.
Zurück zu den unmittelbaren Folgen des Krieges: Wo ist nun schnelle Hilfe für die Landwirtschaft gefragt und wie könnte diese aussehen?
Bisher scheint sich die Hilfe der Politik auf eine konkrete Maßnahme zu beschränken, die Landwirtschaftsminister Cem Özdemir vor wenigen Tagen vorgestellt hat: Landwirte dürfen dieses Jahr ausnahmsweise auch die Pflanzen auf ökologischen Vorrangflächen als Tierfutter nutzen, um Beitrag zur Futterversorgung zu leisten und Wirkungen der steigenden Futtermittelpreise abzumildern. Das betrifft immerhin eine Fläche von 1,23 Mio. Hektar (Stand 2021). Außerdem sollen zukünftig gentechnikfreie Eiweißfuttermittel wie etwa Soja vermehrt auch in Deutschland angebaut werden. Angedacht sind Ausnahmen für Bio-Landwirte: durch den Ausfall von Ökofutter aus der Ukraine ist es momentan schwer, Tiere mit hundertprozentig ökologisch erzeugtem Futter zu versorgen.
„Die technologischen Möglichkeiten, die wir in der Pflanzenzüchtung haben, sollten wir auch ausschöpfen.“
Reicht das aus?
Nein. Meines Erachtens gehören zentrale Punkte der GAP-Reform auf den Prüfstand. Laut der Reform sind die Landwirte ab dem nächsten Jahr gezwungen, 4 Prozent der Fläche stillzulegen. Die unkomplizierteste Hilfe wäre nun, diese Stilllegung zu widerrufen, um die Fläche für Nahrungsmittelproduktion zu nutzen. Auch die Potenziale moderner Züchtungsmethoden sind noch nicht ausgeschöpft und müssten nun vorurteilsfrei bewertet werden: Die technologischen Möglichkeiten, die wir in der Pflanzenzüchtung haben, sollten wir auch ausschöpfen.
In der jetzigen Situation ist es unbedingt empfehlenswert, sich in einen engen Austausch mit dem eigenen Steuerberater und Agrarberater zu begeben, sich Beratung und Expertise zu holen, um auf die kurz- und mittelfristigen Entwicklungen vorbereitet zu sein.
Was können, was sollten die Landwirte in Deutschland jetzt tun?
In erster Linie plädiere ich dafür, ruhig zu bleiben. Der Markt spielt momentan verrückt, was zu unüberlegten Schnellschüssen verleitet. Davon rate ich ab! Das mag eine momentan wenig zufriedenstellende Aussage sein, es ist aber in Krisenzeiten wichtig zu betonen. Der Ukraine-Krieg hat viele Facetten und unterschiedlichste Auswirkungen, die Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig verändern werden. Auf diese Änderungen und Reaktionen aus der Politik – Stichwort GAP-Reform – müssen Landwirte vorbereitet sein. Sie sind aber nicht allein! In der jetzigen Situation ist es unbedingt empfehlenswert, sich in einen engen Austausch mit dem eigenen Steuerberater und Agrarberater zu begeben, sich Beratung und Expertise zu holen, um auf die kurz- und mittelfristigen Entwicklungen vorbereitet zu sein.
Hast du hoffnungsvolle Worte zum Abschluss dieses Interviews?
Die moderne Gesellschaft wird selten mit der Frage der Versorgungssicherheit konfrontiert und verliert daher jene aus dem Blick, die sie ermöglichen. Das ändert sich jetzt. Damit könnte sich auch das oftmals eher negative Image des Landwirts und seine Bedeutung in der Lieferkette zum Positiven verändern. Zu wünschen wäre es ihm.