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Interviewreihe über die Folgen des Ukraine-Krieges für die Landwirtschaft mit ETL Agrar & Forst-Leiter Benjamin Hummel

TEIL 1: „Werden hierzulande nicht in Hungersnöte geraten. Das ist kein vorstellbares Szenario“
Interviewreihe über die Folgen des Ukraine-Krieges für die Landwirtschaft mit ETL Agrar & Forst-Leiter Benjamin Hummel
Aktuelles
22.03.2022 — Lesezeit: 6 Minuten

Interviewreihe über die Folgen des Ukraine-Krieges für die Landwirtschaft mit ETL Agrar & Forst-Leiter Benjamin Hummel

TEIL 1: „Werden hierzulande nicht in Hungersnöte geraten. Das ist kein vorstellbares Szenario“

Die Ukraine galt einst als Kornkammer Europas und ist noch heute der fünftgrößte Exporteur von Weizen der Welt. Der weltgrößte Weizenexporteur ist Russland. Beide Länder sind aber auch wichtige Exporteure von Saatgut, Futter- und Düngemitteln. Mit dem Angriff auf die Ukraine und den infolge dessen verhängten Sanktionen gegen Russland drohen nun gravierende Versorgungsengpässe und Preissteigerungen weltweit und natürlich auch in Deutschland.
In einer zweiteiligen Interviewreihe wollen wir mit dem ETL Agrar & Forst-Leiter und Agrarökonom Benjamin Hummel über die Folgen des Ukraine-Krieges für die deutsche Landwirtschaft sprechen. Im ersten Teil des Interviews widmen wir uns den kurzfristigen Auswirkungen: mögliche Versorgungsengpässe bei Nahrungsmitteln sowie Futter- und Düngemitteln, steigende Kosten und Preise, drohende Ernteausfälle.
Im zweiten Teil des Interviews wollen wir wissen: Wie kann der Landwirtschaft geholfen werden? Welche Maßnahmen müssen vonseiten der Politik jetzt ergriffen werden, um gegenzusteuern? Werden die Kriegsfolgen zum Problem für die ökologische Transformation der Landwirtschaft? Und was können die Betroffenen jetzt tun?

Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für die deutsche Landwirtschaft?
Durch Zerstörung bzw. Wirtschaftssanktionen sind u.a. zu erwarten: Exportausfälle, Preissteigerungen und eine vorübergehende Knappheit an Gütern wie Getreide, Futtermittel, Düngemittel und Energie. Preis- und damit auch Kostensteigerungen für elementare Güter in der Landwirtschaft beobachten wir schon seit Längerem. Doch seit Beginn des Krieges in der Ukraine spielen die Märkte komplett verrückt. Wir spüren die Auswirkungen in der Branche schon jetzt. Man muss davon ausgehen, dass der Krieg eine Zäsur darstellt und es danach nie wieder so sein wird wie zuvor. Das bedeutet für betroffene Branchen wie die Landwirtschaft aber, dass sie mit den Folgen der Ereignisse auch langfristig zu kämpfen haben wird. Ein solcher Einschnitt wird natürlich den ökologischen Wandel der Branche auf den Prüfstand stellen. Insbesondere, wenn die Kernaufgabe der Landwirtschaft, die Versorgungssicherheit, in Konflikt mit der „grünen Transformation“ gerät. Passend dazu stehen wir aktuell vor der GAP-Reform, welche die landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen in der EU vorgibt.

„Seit Beginn des Krieges in der Ukraine spielen die Märkte komplett verrückt.“

Welche Güter sind durch den Ukraine-Krieg besonders von Verknappung und Verteuerung betroffen?
Für die Landwirte ist die größte Baustelle bei den Futter- und Düngemitteln auszumachen. Schon jetzt werden proteinhaltige ökologische Futterkomponenten wie Sonnenblumen und Sojabohnen, aber auch Protein-Hochkonzentrate aus der Ukraine wie Sojapresskuchen knapp. Bei Düngemitteln ist Russland einer der weltweit wichtigsten Exporteure. Nun empfahl Moskau den heimischen Produzenten, die Ausfuhren zu stoppen – was die Preise voraussichtlich noch weiter steigen lässt. Beispiel Ammoniumnitrat: Im Herbst 2021 war eine Tonne des Stickstoffdüngers mit 900 US-Dollar schon dreimal so teuer wie im Vorjahr. In Russland werden weltweit 23 Prozent des Ammoniumnitrates hergestellt. Eine weitere Verknappung und Verteuerung ist die logische Folge der aktuellen Entwicklungen. Am deutlichsten wird die Verfügbarkeit von Fleisch und tierischen Produkten leiden.

Was hat denn die Fleischverarbeitung mit dem Krieg zu tun?
Durch fehlende Futtermittelimporte ist eine Knappheit von Schlachttieren zu erwarten. Hinzukommt, dass im vergangenen Jahr hierzulande immer mehr Schweinehalter aufgeben mussten, da der Markt mit Schweinefleisch übersättigt war. Heute dreht sich die Nachfrage. Diese kurzfristige Dynamik der Märkte ist sehr bemerkenswert. Vor wenigen Tagen soll sich das Unternehmen Tönnies – einer der größten Fleischverarbeitungsbetriebe – in einem Brandbrief an die Lebensmittelbranche gewandt haben. Darin heißt es, dass der Krieg sowohl die Fleischlieferungen, als auch die Beschaffung von Futtermittel sowie die Lieferketten generell beeinflusse. Als Folge davon könnten beim Rindfleisch bis Ostern sogar die Schlachttiere ausgehen, befürchtet Tönnies.

„Die Ziele Tierwohlsteigerung, steigende Mindestlöhne und natürlich Nachhaltigkeit können nicht mit den aktuellen Dumpingpreisen im Supermarkt harmonieren.“

Dieses Szenario allerdings betrachte ich mit gemischten Gefühlen: Der Preis, den wir in Deutschland bislang für Fleischprodukte bezahlen mussten, war in meinen Augen würdelos. Die Ziele Tierwohlsteigerung, steigende Mindestlöhne und natürlich Nachhaltigkeit können nicht mit den aktuellen Dumpingpreisen im Supermarkt harmonieren. Es sei aber auch gesagt, dass ein genereller Verzicht auf die Produktion von Fleisch keine Lösung ist.

Drohen den Landwirten und Verbrauchern in Deutschland durch den Krieg Versorgungsengpässe?
Prognosen haben ihre Tücken, wenn sich die Ereignisse so überschlagen wie jetzt. Noch vor wenigen Tagen z. B. hat Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Die Grünen) gesagt: „Die Versorgung in Deutschland mit Lebensmitteln ist sichergestellt. Wer anderes behauptet, handelt gegen die Fakten – und politisch verantwortungslos.“ Kurz darauf hat Russland einen Export-Stop für Weizen, Gerste und Roggen bis mind. 30. Juni 2022 bekannt gegeben. So schnell ändern sich also Gewissheiten. Auch einige öffentlichen Darstellungen, wie beispielsweise die des Präsidenten des Landesbauernverbandes Brandenburg, dass die Ernte 2022 in Deutschland gesichert sei, halte ich für eine sehr optimistische Prognose. Fakt ist: durch den massiven Preisanstieg und der geringen Verfügbarkeit von Düngermitteln, die bereits vor dem Ukrainekonflikt eintraten, waren viele Landwirte gezwungen auf Stickstoffgaben bei Getreide zu verzichten. Dass dies mindere Qualitäten und weniger Ertrag bedeutet, wird eine Folge sein. Gleichzeitig haben uns die vergangenen Jahre bewiesen, dass die Witterung – insbesondere auf den leichten Böden im Osten der Republik – maßgeblichen Einfluss auf die Ernte hat. Diese Faktoren wurden offenbar nicht berücksichtigt, weshalb solche Einschätzungen Mitte März sehr gewagt sind.

„Die Einschätzung, dass die Ernte 2022 in Deutschland gesichert sei, halte ich für eine sehr optimistische Prognose.“

Das klingt besorgniserregend. Worauf muss sich die Bevölkerung einstellen?
Sehr wahrscheinlich werden wir hierzulande – im Gegensatz zu anderen Teilen der Welt – nicht in Hungersnöte geraten. Das ist kein vorstellbares Szenario. Die aktuelle Verknappung etwa von Getreideprodukten und Ölen in den Läden ist meines Erachtens aber bereits ein Vorbote auf das, was uns noch dieses Jahr bevorstehen wird. Deutschland hat sowohl aus Russland als auch der Ukraine beispielsweise Mais, Raps- und Rübensamen, Roggen und Sonnenblumenkerne in großen Mengen importiert. Auch kommen zum Beispiel 80 Prozent der europäischen Bio-Sonnenblumen aus der Ukraine, was sich schon jetzt in Rationierungen von Sonnenblumenöl in einigen Supermärkten bemerkbar macht, wie man den Medien entnehmen kann. Wer jetzt denkt, Hamsterkäufe seien eine kluge Idee, der unterliegt dennoch einem Irrtum.

„All die kurzfristigen Kriegsfolgen treffen auf langfristige Entwicklungen im Agrarbereich. Diese Probleme verstärken sich gegenseitig.“

Wir sehen daran zwei Dinge: Erstens: Die Zusammenhänge in der Wirtschaft sind so komplex, dass von gravierenden Marktveränderungen in einem Segment viele andere Bereiche ebenfalls betroffen sind. Zweitens: All die kurzfristigen Kriegsfolgen treffen auf langfristige Entwicklungen im Agrarbereich: Die Preise für Getreide, Ölsaaten und andere Güter sind ohnehin hoch wegen steigender Weltnachfrage, hohen Energie- und Transportkosten, hohen Preisen für Düngemittel und schlechten Ernten in einigen Regionen, die durch klimawandelbedingte Wetterextreme verursacht wurden. Diese Probleme verstärken sich gegenseitig. Wie Cem Özdemir zu sagen, dass wer angesichts dessen die generelle Versorgungssicherheit anzweifelt, verantwortungslos handelt, halte ich wiederum für verantwortungslos. Grund zur Panik besteht natürlich nicht, etwas leichtfertig erscheint mir die Aussage dann allerdings doch. Für solche Prognosen ist es zu früh.

Der zweite Teil des Interviews mit dem ETL Agrar & Forst-Leiter Benjamin Hummel erscheint am Donnerstag, 24.03.2022.

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