Durchschnittssteuersatz für Landwirte bei selbst hergestelltem Alkohol
Keine guten Nachrichten gab es für die rund 30.000 landwirtschaftlichen Betriebe mit angeschlossener Brennerei im südbadischen Raum. Auch wenn es sich um eine jahrhundertealte Tradition handelt, das Finanzgericht Baden-Württemberg hat die Anwendung des umsatzsteuerlichen Durchschnittssteuersatzes für die Herstellung von Rohalkohol in seinem Urteil vom 24. April 2024 (14 K 2016/21) versagt. Bei der Begründung widersprach das Finanzgericht der Finanzverwaltung und ließ die Revision zum Bundesfinanzhof (BFH) zu, die auch eingelegt wurde (Az. XI R 22/24).
Landwirt mit Schuss
Der Steuerpflichtige betreibt eine Landwirtschaft mit angeschlossener Brennerei. Er baut Obst an, das er teilweise verkauft und teilweise zu Alkohol verarbeitet. Er produziert mittels einer Destillieranlage diverse Obstbrände und in geringem Umfang Weinhefebrand und Kornbrand. Die besten Brände füllt er selbst ab und verkauft sie als Schnäpse an Laufkundschaft und Hofläden. Den Rest liefert er als Rohalkohol an Großhändler.
In seinen Steuererklärungen versteuerte der Landwirt die Entgelte aus dem Verkauf von selbst hergestellten Bränden an Endabnehmer mit dem Steuersatz von 8,3 Prozent (19 Prozent Regelsteuersatz abzüglich der pauschalen Vorsteuer von 10,7 Prozent im damaligen Streitjahr). Die Entgelte aus den Lieferungen von Rohalkohol an Großhändler versteuerte er mit dem Regelsteuersatz. Später stellte der Landwirt Änderungsanträge. Er beantragte, die gesamten Umsätze mit alkoholischen Flüssigkeiten der Pauschalbesteuerung zu unterwerfen. Dies hat das Finanzamt abgelehnt.
Anwendung des Durchschnittssteuersatzes
Für die Lieferung von alkoholischen Flüssigkeiten wird für die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes ausgeführten Umsätze ein effektiver Steuersatz von 8,3 Prozent festgesetzt. Als land- und fortwirtschaftlicher Betrieb gelten unter anderem die Landwirtschaft und der Wein-, Garten-, Obst- und Gemüsebau. Dazu gehören auch die Nebenbetriebe, die dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zu dienen bestimmt sind.
Einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhält ein Unternehmer, soweit er unter planmäßiger Nutzung der natürlichen Kräfte des Bodens Pflanzen und Tiere erzeugt sowie die dadurch selbst gewonnenen Erzeugnisse verwertet. Begünstigt sind außerdem unmittelbar mit der Urproduktion in Zusammenhang stehende Tätigkeiten der Vermarktung, wie Verpackung, Zubereitung und Lagerung der Erzeugnisse.
Finanzverwaltung: Auf die Verarbeitungsstufe kommt es an
In seinen Verwaltungsanweisungen hat die Finanzverwaltung ausgeführt, wann ein Produkt seinen landwirtschaftlichen Charakter verliert und die Durchschnittssatzbesteuerung nicht weiter anzuwenden ist. Die Finanzverwaltung stellt dabei auf die sogenannten Verarbeitungsstufen ab. Dabei ist Voraussetzung, dass das Enderzeugnis seinen land- und forstwirtschaftlichen Charakter nicht verliert (sog. erste Verarbeitungsstufe). Führt die Verarbeitung zu einem Produkt der zweiten oder einer höheren Verarbeitungsstufe (z. B. Spirituosen), unterliegen die Umsätze mit diesen Erzeugnissen nicht der Durchschnittssatzbesteuerung. Das Finanzamt lehnte daher die Änderungsanträge des Steuerpflichtigen ab.
Finanzgericht widerspricht Finanzverwaltung
Das Finanzgericht stimmte dem Finanzamt zwar zu, dass die Umsätze des Landwirts bezüglich des Rohalkohols zu Recht der Regelbesteuerung unterworfen wurden. Jedoch kam es mit einer völlig anderen Begründung zu diesem Schluss. Den Tätigkeiten der landwirtschaftlichen Erzeugung gleichgestellt sind nach EU-Recht die Verarbeitungstätigkeiten, die ein Landwirt bei im Wesentlichen aus seiner landwirtschaftlichen Produktion stammenden Erzeugnissen mit Mitteln ausübt, die normalerweise in land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betrieben verwendet werden.
Dies ist bei der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse der entscheidende Aspekt zur Klärung der Frage, ob der landwirtschaftliche Erzeuger sich noch im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebs bewegt. Nicht maßgeblich ist es entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung, ob die Verarbeitung zu einem Produkt der ersten Verarbeitungsstufe oder einer höheren Verarbeitungsstufe führt.
Destillieranlage ist kein typisches landwirtschaftliches Gerät
Zwar ist der Landwirt unstreitig ein „landwirtschaftlicher Erzeuger“ im Sinne des EU-Rechts und betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb in Gestalt eines Obstbaus. Doch findet die Herstellung des Rohalkohols aus dem angebauten Obst nicht mehr im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebs statt.
Der Alkohol sei kein landwirtschaftliches Erzeugnis und die Alkoholerzeugung aus Obst kein Obstanbau im Sinne des EU-Rechts. Die Brennerei und damit die Herstellung des Alkohols ist umsatzsteuerrechtlich auch kein landwirtschaftlicher Nebenbetrieb bzw. die Alkoholherstellung mittels Destillierung keine der landwirtschaftlichen Erzeugung gleichgestellte Verarbeitungstätigkeit, weil sie nicht mit Mitteln ausgeübt wird, die normalerweise in land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betrieben verwendet werden.
Für die Gewinnung des Rohalkohols aus der Obstmaische ist eine Destillieranlage (Schnapsbrennkessel) erforderlich. Das Finanzgericht ist der Auffassung, dass dies kein Mittel ist, das normalerweise in einem landwirtschaftlichen Betrieb verwendet wird. Demgegenüber erfordert die Produktion von hochprozentigem Alkohol, anders als zum Beispiel die Herstellung von Maische, besondere Geräte und ist ohne menschlichen Eingriff nicht möglich. Die Landwirte stehen insoweit in Konkurrenz zu Brennereien, die denselben Fabrikationsvorgang durchführen, ohne selbst eine Landwirtschaft zu betreiben. Die Herstellung von Rohalkohol ist deshalb nach Auffassung des Finanzgerichts keine typisch landwirtschaftliche Betätigung mehr.
Fazit: Ob der BFH der Argumentation des Finanzgerichts folgt, bleibt abzuwarten.