Ganzheitliche Nachhaltigkeit mit Wohlfühl-Faktor
Schünow bei Zossen – ein 200 Einwohner-Örtchen rund 20 Minuten vor den Toren Berlins. Eingerahmt von Feldern, so weit das Auge reicht. Auf den ersten Blick eines jener Dörfer, das Großstädter mitunter im Vorbeifahren als „verschlafen“ abstempeln. Doch seit einiger Zeit ist es mit der Ruhe vorbei. Denn hier entsteht Deutschlands größte kommerzielle Tee-Farm! Verantwortlich dafür: das Ehepaar Antje und Rüdiger Kühnle. Die Gründer von GROWING KARMA, dem aktuellen Grünen Mandat der ETL-Gruppe, erschaffen hier „aus dem Nichts ein Refugium der Ruhe“. Mitten in der Natur bieten sie hier künftig zwischen dem Erlebnis der Teekultivierung in Deutschland Raum für Coworking, Yoga und Meditation. „Unsere Konferenzräume sind für Geschäftstreffen, Familienfeiern, Besprechungen, Tagungen und vieles mehr ausgestattet und fördern Innovation und Zusammenarbeit in einer von Gelassenheit durchtränkten Atmosphäre“, bringen sie uns ihre Vision näher. Als wir sie im August besuchen fahren, wollen wir uns selbst einen Eindruck vom Stand des so ambitionierten wie ungewöhnlichen Projekts machen.
Eine Oase vor den Toren der Hauptstadt
Zum Grundstück von GROWING KARMA führt uns ein holpriger, rund 400 Meter langer Schotterweg, der uns bei über 30 Grad Celsius und praller Sonne einiges abverlangt. Die Luft um uns herum flimmert, als befänden wir uns in einem Western-Film. Als wir den Hof erreichen, trauen wir unseren Augen nicht so recht: Uns offenbart sich eine kleine „Oase“: Teile des Bodens sind mit Sand aufgeschüttet und vermitteln echtes Strand-Feeling, mehrere große Zelte erheben sich darüber, Palmen spenden ein paar willkommene schattige Plätzchen, während ein riesiger Wassertrog Erfrischung bietet. Hier, im Kern des Grundstücks, genießt Familie Kühnle gemeinsam am Abend bei selbstgemachtem Popcorn Filme, die auf die gegenüberliegende Hauswand projiziert werden. Ein Erlebnis, das wohl jeden Kinobesuch in den Schatten stellt. Eingerahmt wird der Platz von mehreren Gebäuden, denen man ihrer Historie überdeutlich ansieht. Das Grundstück, welches GROWING KARMA vor beinahe zwei Jahren erwarb, diente zuvor als Farm für Galloway-Rinder. Die heutigen Besitzer möchten die vorhandene Infrastruktur bestmöglich weiternutzen und so Ressourcen einsparen – Umfunktionierung und Optimierung statt Abriss.
Ganzheitliche Nachhaltigkeit zum Anfassen und Miterleben
„Wir wollen uns integrieren, Teil der Gemeinschaft werden und durch GROWING KARMA Menschen zusammenführen. Das ist unser Beitrag, um den Ort Schünow lebenswert zu halten“, erläutern die Gründer, als wir an einem Tisch unter dem Vorzelt des Hauptgebäudes Platz nehmen und eine erste Kostprobe dessen serviert bekommen, womit GROWING KARMA den deutschen Tee-Markt bereichern möchte. Der Weiße Tee erfrischt uns und lässt uns die drückende Sommerhitze für ein paar Minuten vergessen. „Am Anfang wird man natürlich komisch angeschaut“, erzählt uns Antje Kühnle mit einem Lachen, während sie uns nachschenkt. Doch das Ehepaar zerstreut etwaige Bedenken sofort nach dem Kauf des Hofes, nimmt aktiv an Ortsversammlungen teil, knüpft Kontakte, lässt die Menschen erleben, wie bei GROWING KARMA aus Visionen Wirklichkeit wird.
„Unsere ganz große Vision“, berichtet Antje Kühnle, „ist es, die Menschen hier vor den Toren der Großstadt in eine ganz andere, eine ganz eigene Welt eintauchen zu lassen – eine Oase der Ruhe und Begegnung.“ Bereits jetzt ist uns klar, dass die Gründer mit GROWING KARMA weit mehr als „nur“ eine der größten kommerziellen Teefarmen in Deutschland aufbauen. Auf dem 6,4 ha großen Grundstück entsteht Größeres. Das Fundament dieser Ambitionen ist auf dem Rundgang, den uns Antje und Rüdiger nun anbieten, deutlich zu erkennen.
Nachhaltiger Teeanbau – geht das?
Das erste große Gewächshaus zum Anbau von Tee der Art Camellia sinensis wurde im November 2023 fertig gestellt. Einen Monat später begann das Team von GROWING KARMA, über 200.000 Samen zu pflanzen. Nun präsentieren sich uns das Gewächshaus als eine grüne Fläche; Reihe um Reihe, Gang um Rang, Teepflanzen so weit das Auge blickt. Die erste Ernte, so hoffen die beiden, soll im Frühjahr nächsten Jahres geerntet werden. Ein Kraftakt innerhalb kurzer Zeit, für dessen Erfolg die Gründer nichts dem Zufall überlassen haben. Das Gewächshaus bietet den Teepflanzen optimale Bedingungen – genügend Sonne, eine hohe (Luft-)Feuchtigkeit, ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem, dass die Sprösslinge mit reichlich Wasser versorgt. Eine Ressource, die GROWING KARMA vor Ort reichlich zur Verfügung steht. Dank eines stabilen Grundwasservorrats, zwei natürlichen Wasserläufen, die das Gelände durchziehen und Regenauffangbecken mit zigtausend Liter Fassungsvermögen, ist Deutschlands bald größte kommerzielle Tee-Farm autark in der Wasserversorgung – ein Meilenstein für die nachhaltigen Ambitionen des Unternehmens.
Mit jedem Schritt, den wir gemeinsam über das weitläufige Grundstück laufen, fügt sich das Puzzle GROWING KARMA zu einem eindrucksvollen Gesamtbild zusammen, welches die Erzählungen der beiden Landwirtschafts-Visionäre vor unserem inneren Auge zum Leben erwecken: Da wäre der Hofladen, der die örtliche Bevölkerung täglich mit frischen, gesunden Lebensmitteln aus Eigenanbau versorgt. Dort das Restaurant, welches bei Feierlichkeiten schnell zum Tanzlokal umfunktioniert werden kann. Daneben bietet das Hauptgebäude Räume zum Arbeiten, für Yoga-Sessions, zum Abspannen – und perspektivisch auch für Übernachtungen.
Permakultur: Erfolgsrezept für GROWING KARMA?
Inzwischen sind wir vom Gewächshaus auf eine wilde, scheinbar unberührte Naturfläche gelaufen. Doch weit gefehlt: Was wir sehen, ist das Herzstück, der Kern der Philosophie, die GROWING KARMA antreibt – die Permakultur. Dieses von Bill Mollison und David Holmgren in den 1970er-Jahren etablierte Konzept wenden Antje und Rüdiger Kühnle in Schünow allumfassend an.
WAS IST PERMAKULTUR?
Permakultur ist ein Konzept für Landwirtschaft und Gartenbau, das sich an vorhandenen Ökosystemen und Kreisläufen in der Natur orientiert und versucht, diese nachzuahmen. Der australische Naturalist Bill Mollison und sein Landsmann David Holmgren entwickelten das ursprüngliche Konzept der Permakultur in den 1970er Jahren. Bill Mollison erhielt 1981 dafür den Alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award). Dabei ließen sie sich von den Grundsätzen der ortsangepassten Anbauweise ohne Bodenbearbeitung, ohne synthetische Dünger, ohne Unkrautbekämpfung und ohne Abhängigkeit von Chemikalien leiten. Durch Ansiedlung unterschiedlicher Pflanzen und Tiere soll die natürliche Artenvielfalt gefördert werden und langfristig stabile Ökosysteme zu schaffen, die sich selbst erhalten.
Permakultur sieht für unser ungeübtes Auge nach Durcheinander aus: Verschiedenste Pflanzen umranken einander, geben der Fläche das Erscheinungsbild einer Wildwiese. Wir kosten Paprika, Physalis und Kräuter. Der Geschmack übertrifft unsere Erwartungen. Ein Huhn sucht nach Fressbarem, und Antje Kühnle gerät ins Schwärmen: „Ich habe mich mit Permakultur seit über 15 Jahren beschäftigt. Ich bin fest vom enorm hohen Wirkungsgrad einer Permakultur im Vergleich zur konventionellen und monokulturell geprägten Agrarwirtschaft der Industrieländer und dem damit einhergehenden Verarmen der Böden überzeugt. Jetzt habe ich die Chance, das Prinzip als Inhaberin und Geschäftsführerin von GROWING KARMA umzusetzen.“ Ihr Mann Rüdiger ergänzt: „Langfristig streben alle hier eine vollständige Autarkie an, für welche die Grundlagen gelegt sind. So gewinnen wir unsere Energie aus Photovoltaik, künftig Wärme als Nebenprodukt der Pyrolyse zur Herstellung von Pflanzenkohle, unser Wasser gewinnen wir durch sinnvolles Auffangen der Niederschlagsmengen und unseren eigenen Brunnen.“
Maßgeschneiderte Agrarberatung für innovative Konzepte
Auch wenn auf die GROWING KARMA-Gründer Antje und Rüdiger Kühnle noch viel Arbeit wartet: Das Tempo, mit dem hier in Schünow ihre Visionen lebendig werden, erstaunt auch Benjamin Hummel, Agrarberater und Fachbereichsleiter bei ETL Agrar & Forst. Von Anfang an begleitet er den Aufbau von GROWING KARMA und staunt beim Besuch vor Ort einmal mehr: „Es ist Wahnsinn, was hier in kürzester Zeit entstanden ist.“ Der ETL-Agrarexperte wurde GROWING KARMA explizit für die Umsetzung ihrer Visionen empfohlen. „Kurz vor Weihnachten 2022 haben Antje und Rüdiger ersten Kontakt zu mir aufgenommen. Sie stellten mir ihre Visionen vor und untermauerten all ihre Ideen mit einem hochseriösen Businessplan. In meiner Karriere habe ich viele Gründungen begleitet und Betriebskonzepte entwickelt, aber die Innovationskraft und der nachhaltige Ansatz, die mir hier präsentiert wurden, waren etwas Besonderes. Ich bin stolz darauf, solche zukunftsweisenden Ideen unterstützen zu dürfen“, betont Hummel.
Seitdem begeistert mich ihr Vorhaben“, erzählt er bei unserer Abschieds-Tasse Tee „Made in Germany“. Die Landwirtschaft böte beste Voraussetzungen für Unternehmen wie GROWING KARMA: „Ich als Berater bin immer offen für breite, neue Konzepte für die Landwirtschaft – diese Branche hält für solche Innovationen einfach ein riesengroßes Potenzial bereit – und immer mehr Menschen, ob gelernte Landwirte oder innovative Quereinsteiger wie die Kühnles, machen sich auf den Weg und mischen die bestehende Angebotspallette auf. Davon können alle nur profitieren – Erzeuger wie Konsumenten von hochwertigen Nahrungsmitteln aus heimischer Produktion“.
Als wir den Hof in Schünow in Richtung Berlin verlassen, erscheint uns die Hauptstadt als unwirklich und ein wenig störend – laut, hektisch, beengend, anonym. Wie gut, dass wir in nur 20 Minuten wieder zu „unserer“ kleinen Oase fahren und bei einem Tee aus Deutschland in wundervoller Umgebung Kraft tanken können.
Erfahren Sie im nächsten Artikel unserer Artikelreihe zum Grünen Mandat, welches ökonomische Potenzial kommerzieller Teeanbau in Deutschland bietet und welche Herausforderungen auf die Gründer warten.