4 Themen – 4 Wochen: Das Sommerinterview mit Benjamin Hummel
Extremwetterereignisse, exorbitant steigende Kraftstoffpreise und Lieferengpässe bei unverzichtbaren Gütern: All das trifft die Land- und Forstwirtschaft mitten im ohnehin anspruchsvollen Spagat zwischen ökonomischen Anforderungen und einer ökologischen Transformation. Zudem müssen sich Land- und Forstwirte dieses Jahr zusätzlich mit bürokratischen Hürden, wie der GAP-Reform und der Grundsteuerreform, herumschlagen. Wie all diese Entwicklungen und Herausforderungen ineinandergreifen, welche Auswirkungen sie auf Land- und Forstwirtschaft in Deutschland haben, auf welche Strategien Betroffene nun zurückgreifen können und welche Weichenstellungen von der Politik erwartet werden, darüber sprechen wir mit Benjamin Hummel, Leiter ETL Agrar & Forst, bei „4-Themen – 4 Wochen. Das Sommerinterview“.
In der ersten Folge der vierteiligen Interviewreihe sprachen wir mit Benjamin Hummel über die Auswirkungen des Hitzesommers, der Waldbrände und Dürre für die Branche. Diesmal widmen wir uns mit dem ETL Agrar & Forst-Leiter den steigenden Preisen und wollen von ihm wissen, was insbesondere kleinere Betriebe jetzt tun können, um auch in Zukunft erfolgreich zu wirtschaften.
Inflation, Rohstoffknappheit, Engpässe an Gütern wie Getreide, Futtermittel, Düngemittel – selten waren die Zeiten schwieriger, selten war weniger absehbar, wie sich die aktuellen Krisen entwickeln. Wie sehr leidet die Landwirtschaft momentan unter den Krisenphänomenen?
Noch ist das ganze Ausmaß der Ereignisse bei wenigen Betrieben angekommen. Es gibt da eine Verzögerung, einen Delay, der bislang wirkt. Ein Beispiel: jetzt werden die Ernten aus dem vergangenen Jahr verkauft, die mit den wenigsten der oben beschriebenen Probleme zu kämpfen hatten. Es ist also noch Liquidität bei den meisten Betrieben vorhanden. Meine Prognose lautet aber: Spätestens im Herbst werden die Auswirkungen spürbar. Wer in diesem Jahr seine Getreidelager nicht füllen konnte, der wird dies im Winter 2022/Frühjahr 2023 in seinen Zahlen erkennen. Die Inflation kommt als zusätzlicher Preistreiber hinzu. Auch der Mindestlohn spielt eine Rolle für den Landwirt, der seine Erntehelfer und Mitarbeiter natürlich auch sonn- und feiertags arbeiten lassen muss, stellenweise bis tief in die Nacht. Die kann er natürlich nicht mit einem Niedriglohn abspeisen, weil auch sie die Inflation zu spüren bekommen. Diese Prozesse verstärken sich also gegenseitig.
In unserem letzten Interview zu den Folgen des Ukraine-Krieges im März sagten Sie, für die Landwirte sei die größte Baustelle bei den Futter- und Düngemitteln auszumachen. Wie hat sich die Situation seitdem entwickelt?
Gerade beim Dünger ist die Lage nach wie vor angespannt, weil ein Großteil der Produktion in Russland und der Ukraine stattfindet. Gleichzeitig wird bei künstlichem Stickstoffdünger Gas eingesetzt, das ja auch knapp wird. Auch diese Engpässe bei Gütern werden wir in ihrer ganzen Tragweite erst noch zu spüren bekommen. Was schon jetzt häufig fehlt sind Ersatzteile von Maschinen und Traktoren. Liefertermine können nicht eingehalten werden, obwohl die Finanzierung abgeschlossen ist. Das heißt das Geld ist weg, aber für die Ernte, mit der die Investition refinanziert werden sollte, war das bestellte (Ersatz-)Teil einkalkuliert.
Was sicher auch für Frust sorgt?
Ich habe es selbst erlebt bei einem Fahrzeug, bei dem der Liefertermin nicht eingehalten wurde aufgrund der bekannten Halbleiterproblematik. Man darf nicht vergessen: In Erntemaschinen steckt auch sehr viel Computer-Technik. Was wiederum eine große Gefahr mit sich bringt – nämlich, dass Landwirte angesichts dessen doch wieder verstärkt auf die alte Technik setzen und Innovationen auf der Strecke bleiben. Wir erleben hier, wie Lieferengpässe die dringend benötigte Digitalisierung der Branche auszubremsen drohen.
Stichwort Preise: Sie sagten in unserem letzten Gespräch, der Preis, den Verbraucher in Deutschland für Fleischprodukte lange zahlen mussten, sei würdelos, weil zu gering. Nun steigen die Preise krisenbedingt, nicht nur beim Fleisch. Aber davon kommt bei den Erzeugern vermutlich wenig an?
Richtig. Alles in allem sind die Preissteigerungen natürlich spürbar, wobei der Einzelhandel da einen Großteil abfängt. Also die höheren Preise, die der Verbraucher an der Supermarktkasse spürt, kommen nicht eins zu eins bei den Landwirten an. Gleichzeitig steigt auch der Anspruch der Verbraucher an die Endprodukte. Immer mehr Menschen erwarten ja Produkte aus ökologischer Erzeugung. Um die Kriterien dafür einzuhalten brauchen die Tiere mehr Platz, anderes Futter etc. Das alles wirkt sich natürlich auch auf die Endpreise aus. Doch diese Einnahmen auf der einen Seite muss der Landwirt an anderer Stelle sofort wieder ausgeben. Denn die Erzeugerkosten steigen natürlich auch exorbitant derzeit, keine Frage.
Wie gehen die betroffenen Akteure der Branche mit den Verteuerungen um? Wie bedrohlich ist die Lage gerade für kleine Betriebe?
Auch hier wirkt noch ein gewisser Delay, also eine zeitliche Verzögerung bei den Folgewirkungen. Momentan sehen wir noch kein Massensterben von Betrieben. Ich habe selbst auch mit Landwirten gesprochen, die auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken, weil sie eine gute Ernte hatten. Das gibt es also auch. Doch wie schon gesagt: das dicke Ende kommt erst noch. Für kleine Betriebe könnte es daher ratsam sein, sich gezielt Nischen zu suchen. D. h. es könnte in dieser Situation empfehlenswert sein, nicht auf konventionellen Roggenanbau zu setzen, weil der sehr kapitalintensiv ist. Man benötigt viel Grund und Boden und der wird immer teurer. Dazu kommt die Grundsteuer, über die noch zu sprechen sein wird. Wer also als kleiner Betrieb einen Rat hören möchte, der möge sich bitte clevere Nischen suchen. Und die gibt es Gott sei Dank! Denn die gesellschaftliche Nachfrage nach „exotischeren“, nicht-heimischen Produkten ist doch da. Das eröffnet dem pfiffigen, innovativen Gründer spannende Möglichkeiten.
Worauf muss sich die Bevölkerung in Sachen Versorgungssicherheit nun einstellen?
Die Preissteigerungen sind jetzt schon zu spüren für den Verbraucher. Ich glaube aber, dass da nicht mehr allzu viel Luft nach oben ist. Und ich gehe weiterhin davon aus, dass wir hier in Deutschland keine wirklich gravierenden Versorgungsengpässe befürchten müssen. Ob es zu Verknappungen einzelner Lebensmittel kommt, beispielsweise Fleisch, ist schwerer vorherzusehen. Schon jetzt gibt es ja Restaurants, die ihre Karten deutlich reduzieren. Die Auswahl an einzelnen Produkten wird also geringer. Möchte man die positiven Aspekte dieser Entwicklung in den Vordergrund rücken, so könnte man annehmen, dass der Verbraucher dadurch lernt, die Nahrungsmittel wieder mehr wertzuschätzen. Die Wegwerfmentalität hat in dieser Realität keinen Platz mehr. Das wird ja an einem alltäglichen Produkt wie Butter deutlich, bei dem der Preis innerhalb weniger Monate von 99 Cent auf 2,60 Euro im Laden gestiegen ist.
Wird Butter jetzt zum „Luxusgut?“
Das hängt immer auch vom Einkommen der Verbraucher ab. Wer es sich leisten kann, den dürfte es weniger interessieren, ob das Stück Butter 99 Cent oder 2,60 Euro kostet. Gerade Milch- aber auch Fleischprodukte werden jedoch deutlich teurer, das scheint mir sicher. Denn man muss bedenken, dass hier zu den höheren Erzeugerkosten auch die steigenden Energiekosten der Kühlung treten. Ob da der Begriff „Luxusgut“ gerechtfertigt ist, da bin ich vorsichtig. Aber das Angebot wird sich langfristig verändern. Ein Beispiel aus dem Frühjahr mag das verdeutlichen: die Spargelproduktion. Die Erzeugerkosten waren dieses Jahr so hoch, dass der Spargelbauer hohe Preise aufrufen konnte. Erstaunlicherweise hat das zu einem deutlichen Absatzeinbruch geführt. Man sieht also: hohe Preise haben Folgen. Irgendwann sagt der Verbraucher „Jetzt ist Schluss!“
4 Themen – 4 Wochen: Das Sommerinterview mit Benjamin Hummel
Teil 1: Trockenheit und Waldbrände
Teil 3: Ökologie und Ökonomie – ein schwieriger Spagat
Teil 4: Die Grundsteuerreform – Bürokratie zur Unzeit