Auf einen Espresso mit… Christian Schindler
Laut Arbeitsminister Hubertus Heil soll mit der anstehenden Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro die Verdienst-Obergrenze für Minijobs am 1. Oktober von 450 auf 520 Euro im Monat steigen. Doch was, wenn damit ein Beschäftigungsverhältnis reformiert wird, dass die in es gesetzten Hoffnungen nie so recht erfüllen konnte – für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?
Gerade die vermeintlichen Vorteile des Beschäftigungsverhältnisses – Stichwort Versicherungen – erwiesen sich in der Corona-Krise als zweischneidiges Schwert. Denn da 450 Euro-Jobs keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben, fielen sie den Lockdown-Folgen als Erste zum Opfer. Die Folgen davon sind bis heute spürbar – besonders in Branchen wie der Gastronomie, in der 450 Euro-Kräfte traditionell verbreitet sind. Und nach Ansicht einiger auch unverzichtbar.
Über die vermeintlichen Vorteile des Beschäftigungsverhältnisses in der Gastronomie, ihre Kehrseiten sowie Alternativen für Betriebe im Gastgewerbe haben wir in der dritten Folge von „Auf einen Espresso…“ mit Christian Schindler von der ETL ADHOGA in Wittenberg gesprochen. Er ist Steuerberater und zertifizierter Berater für das Hotel- und Gaststättengewerbe und beschäftigt sich seit Jahren mit Beschäftigungsmodellen der Branche.
Wir wollen wissen: Ist die Beziehung zwischen Gastronomie und 450 Euro-Jobs dauerhaft gefährdet? Und wenn ja, wäre das tatsächlich so schlimm?
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Christian, 450 Euro-Kräfte erfreuen sich in der Gastronomie, so hört man, großer Beliebtheit. Sie sind weitverbreitet und scheinbar unverzichtbar. Ist das so? Und falls ja, welche Vorteile erhoffen sich Gastronomen von dem Beschäftigungsverhältnis?
Bringen wir es zunächst noch einmal auf den Punkt. Der sogenannte Minijob bedeutet für den Arbeitnehmer Stand jetzt maximal 450 Euro im Monat, wobei Bruttolohn dem Nettogehalt entspricht. Auf Basis des aktuellen Mindestlohns von 9,82 Euro seit dem 01.01.2022 entspricht das 45,8 Stunden im Monat. Genutzt wird der Minijobber aufgrund seiner vermeintlichen Flexibilität. Sie können in Spitzenzeiten, in der Hochsaison, zu Zeiten, wo punktuell eine zusätzliche Arbeitskraft gebraucht wird, eingesetzt werden. Man findet Minijobber aber auch in bestimmten Positionen, die von der Stundenanzahl nicht so stark zu besetzen sind, weil die Auslastung zu gering ist – etwa als Hausmeister oder Reinigungskraft.
Das klingt ja aus Arbeitgebersicht alles ganz schön. Die Mitarbeiter sind flexibel, sie stehen immer zur Verfügung, sie haben Lust. Das klingt fast schon nach einer Liebesbeziehung zwischen Minijobs und Gastronomie. Ganz so einfach ist es aber anscheinend nicht, oder?
In der Praxis wird es oft so angesehen. Doch die Flexibilität ist oft nur eine vermutete. Wir finden im Gastgewerbe oft einen Pool von Aushilfen, so dass man das Gefühl hat: da finde ich als Verantwortlicher immer jemanden, der spontan arbeiten kann. Man muss sich aber vor Augen halten: Was ist besser? 20 Aushilfen zu beschäftigen, oder drei sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen? Im ersten Fall müssen 20 Menschen das Unternehmen kennenlernen und eingearbeitet werden, statt nur drei Personen. Zudem sind erstere nicht regelmäßig im Unternehmen, sondern nur wenige Tage im Monat – mitunter auch monatelang überhaupt nicht. Die Bindung ans Unternehmen und zwischen den Mitarbeitern ist dadurch eine ganz andere, die Motivation ist eine andere. Klar, ein Student, der sich nebenbei ein paar Euro hinzuverdienen möchte, hat eine andere Beziehung zum Betrieb als ein Mitarbeiter, der dort seinen Lebensunterhalt bestreitet. Letzterer sieht seine Kollegen regelmäßig und es bilden sich oft Freundschaften.
Ein Irrtum, den du in deiner alltäglichen Praxis wahrscheinlich häufiger erlebst?
Wenn ich da mal ein einfaches Beispiel nennen darf: Gehen wir einmal vom Mindestlohn mit 9,82 Euro aus und brechen das auf eine versicherungspflichtige Vollzeitstelle runter, so kommen wir summa summarum auf rund 1.700 Euro brutto, also um die 1.200 – 1300 Euro netto. Mit den SV-Anteilen kostet das den Arbeitgeber knapp unter 2.100 Euro im Monat. Da die Vollzeitkraft mir im Durchschnitt 173,33h im Monat zur Verfügung steht, benötige ich rechnerisch, um diese Vollzeitkraft mit Minijobs zu ersetzen, 3,8, also vier Aushilfsstellen. Da die Sozialabgaben bei der Aushilfskraft voll beim Arbeitgeber liegen, würde mich das im Durchschnitt 300 Euro mehr im Monat kosten.
Beispielrechnung mit Mindestlohn=12,00 Euro
Beispielrechnung mit Mindestlohn=9,28 Euro
Nun stehen für dieses Jahr Änderungen bevor. Einerseits soll der Mindestlohn auf 12 Euro/h steigen, gleichzeitig sollen Minijobs dann 520 Euro im Monat verdienen können. Ist das etwas, was das Beschäftigungsverhältnis attraktiver machen wird? Ändert das etwas am bislang Gesagten?
Mit der Maßnahme möchte man den Anstieg des Mindestlohns ausgleichen. Denn in der Vergangenheit ist die 450 Euro Vergütungsobergrenze nie angehoben worden, obwohl der Mindestlohn gestiegen ist. Mit steigendem Mindestlohn sinkt die verfügbare Stundenanzahl. Für den Arbeitnehmer ist das gut – er muss für den gleichen Lohn weniger arbeiten –, für den Arbeitgeber ist es schlecht. Wenn wir einmal ganz nüchtern die Zahlen betrachten: Gehen wir von einem Monat mit durchschnittlich 4,33 Wochen aus, hieße das bei 12 Euro Mindestlohn nur 10 Stunden Arbeitszeit pro Woche, also 43h im Monat. Aktuell, bei 9,82 Euro Mindestlohn, kommen wir auf 45,8h im Monat. Das heißt der Ausgleich wäre auch nicht vollständig. Es fehlen dem Betrieb also de facto wieder mehr als drei Arbeitsstunden, die dann wieder auf andere Mitarbeiter oder Aushilfen umgewälzt werden müssten.
Bleiben wir einmal bei der Arbeitnehmerperspektive: Die Corona-Krise hat doch vielfach gezeigt, dass gerade die 450 Euro-Jobs als erstes weggefallen sind, u.a. weil sie keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld hatten. Da stellt sich doch die Frage: Wenn der Ruf des Minijobs so gelitten hat – und wir sehen das deutlich, Stichwort Fachkräftemangel in der Branche – was ist da überhaupt noch zu retten am Verhältnis zwischen Gastronomie und Minijob?
Korrekt, die Minijobs waren schon deshalb gefährdet, weil sie keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld hatten. Vielfach ist es vorgekommen, dass die geringfügig Beschäftigten dann branchenfern abgewandert sind. Und es gibt die Fälle, wo aus geringfügig Beschäftigten in anderen Branchen SV-pflichtige Arbeitsverhältnisse geworden sind.
Also unterm Strich stehen mir als Gastronom weniger Aushilfen zur Verfügung. Das und die soeben skizzierte betriebswirtschaftliche Beleuchtung ist vielleicht die Chance, einmal darüber nachzudenken, ob ich nicht aus meinem eigenen Aushilfen-Pool ein SV-pflichtiges Arbeitsverhältnis mache. Damit steigt die Motivation des Mitarbeiters und die Bindung ans Unternehmen. Davon können doch alle profitieren – ist der Mitarbeiter zufrieden, ist der Unternehmer zufrieden. Und was ganz wichtig ist: Am Ende ist dann auch der Gast zufrieden. Der Erfolg des Unternehmens beginnt bei der Bezahlung der Mitarbeiter.
Bleibt mir abschließend nur zu fragen: Gesetzt dem Fall, die Gastronomie als Branche kann aufgrund ihrer speziellen (zeitlichen) Anforderungen nicht auf flexible Aushilfskräfte verzichten. Gleichzeitig soll aber die Krise genutzt werden, sichere Arbeitsverhältnisse zu denken, die beide Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – optimal gestalten können. Was wäre da die Möglichkeit?
Um es klipp und klar zu unterstreichen: Die zeitliche Flexibilität, die vermutet wird, hat man bei den Aushilfskräften leider nicht. Beispiel Überstunden: Wenn der Minijobber Überstunden leistet und damit dien Grenze der 450 Euro – respektive 520 Euro – überschreitet, ist der Arbeitgeber auch in der SV-Pflicht. Die Flexibilität, die ich in Sachen Überstunden also bei sozialversicherungspflichtigen Anstellungsverhältnissen habe, besitze ich bei geringfügig Beschäftigten nicht.
Sozialversicherungspflichtige Jobs sind Minijobs also grundlegend vorzuziehen?
Ja. Um es auf den Punkt zu bringen: Beim sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, es steckt ja schon im Namen, haben wir die Abführung der Krankenversicherung, der eigenen Rentenversicherung sowie Unfall- und Arbeitslosenversicherung. Das ist überhaupt nicht zu vernachlässigen. Stichwort Rentenvorsorge – auch wenn aus der gesetzlichen Rentenvorsorge nicht mehr so viel herauskommt –; derjenige zahlt in seine eigene Rentenversicherung ein, ist abgesichert im Fall der Arbeitslosenversicherung, und das haben wir beim Aushilfsjob nicht.
Christian, ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch.