Hinzuschätzungen bei Betriebsprüfungen sind vermeidbar
Warum gerade ich? Diese Frage stellt fast jeder Unternehmer, wenn sich die Betriebsprüfer des Finanzamtes bei ihm ankündigen. Ob und wer geprüft wird, liegt grundsätzlich im Ermessen des Finanzamtes. Eine Prüfung wird allerdings umso wahrscheinlicher, je unklarer dem zuständigen Bearbeiter des Finanzamtes die eingereichten Unterlagen erscheinen oder die Unterlagen sogar Ungereimtheiten erkennen lassen.
Prüfer stellen Branchenvergleiche an
So wird das Misstrauen des Finanzamts auch geweckt, wenn beispielsweise die Gewinne einer Apotheke von Jahr zu Jahr stark schwanken und wenn dies nicht branchenüblich ist. Aber auch wenn die Einnahmen zu gering sind, keine Entnahmen getätigt werden, Verträge mit Angehörigen geschlossen wurden oder Kontrollmitteilungen aus Betriebsprüfungen bei Lieferanten oder Kunden vorliegen. Bei all dem droht eine Betriebsprüfung. Geprüft wird dann die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung, insbesondere die Kassenführung und ob Umsatz oder Gewinn im Verhältnis zur Größe des Apothekenbetriebs besonders hoch oder niedrig ausfallen bzw. deutlich vom Branchendurchschnitt abweichen. Um die einzelnen Unternehmen zu vergleichen und die Umsätze und Gewinne zu verproben, nutzt die Finanzverwaltung Richtsätze. Werden formale und materielle Mängel an der Buchführung festgestellt, droht eine Hinzuschätzung von Umsätzen oder Gewinnen, die häufig auf Basis der amtlichen Richtsatzsammlung des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) erfolgen.
Richtsätze von Apotheken seit 2019 unverändert
Die Richtsätze werden bei Handelsbetrieben, zu denen auch Apotheken zählen, in Prozentsätzen des wirtschaftlichen Umsatzes für den Rohgewinn, den Halbreingewinn und den Reingewinn ermittelt. Zudem wird der Rohgewinnaufschlagsatz angegeben. Die Richtsätze für Apotheken wurden 2019 das letzte Mal angepasst.
Richtsätze | Rohgewinnaufschlagsatz auf Wareneinsatz |
Rohgewinn in % des wirtschaftlichen Umsatzes |
Halbreingewinn in % des wirtschaftlichen Umsatzes |
Reingewinn in % des wirtschaftlichen Umsatzes |
Rahmensatz | 27 – 39 | 21 – 28 | 14 – 22 | 4 – 13 |
Mittelsatz | 33 | 25 | 18 | 8 |
Richtsätze für Apotheken
Rahmensätze berücksichtigen typische Abweichungen
Bei einer Schätzung wird das arithmetische Mittel aus den Einzelergebnissen zahlreicher geprüfter Apotheken herangezogen. Allerdings können besondere betriebliche und persönliche Verhältnisse zu nicht unerheblichen Abweichungen führen. Diese werden durch die Rahmensätze berücksichtigt, z. B. niedrigere Handelsspannen bei stark arztorientierten Apotheken in Ärztehäusern oder höhere Handelsspannen bei Apotheken in Einkaufszentren mit einem geringeren Rezeptanteil oder Krankenhausapotheken.
Apotheker sollten individuelle Besonderheiten dokumentieren
Doch nicht jede Apotheke passt in das Schema der Prüfer. Besondere betriebliche oder persönliche Faktoren können dazu führen, dass die Betriebsergebnisse außerhalb der Richtsätze liegen. Apotheker sollten daher die Richtsätze kennen und bei Abweichungen überlegen, womit diese zusammenhängen könnten. Diese Prüfung sollte nicht erst im Vorfeld oder während einer Betriebsprüfung erfolgen, sondern regelmäßig, z. B. nach Erstellung des Jahresabschlusses.
Hinweis: Nicht jedes Abweichen von den Richtsätzen rechtfertigt eine Hinzuschätzung. Wurde der Gewinn formell ordnungsgemäß ermittelt, muss der Betriebsprüfer weitere Punkte anführen, z. B. Fehler in der Buchführung.
BFH muss Zweifel an den Richtsätzen klären
Die Schätzung anhand der Richtsatzsammlung wurde vom Bundesfinanzhof (BFH) bisher grundsätzlich als geeignete Schätzungs und Verprobungsmethode angesehen. Die Finanzverwaltung muss dabei allerdings die Schätzungsgrundlagen so darlegen, dass das Schätzergebnis nachprüfbar und schlüssig ist. Doch genau dort gibt es in der Praxis immer wieder Probleme. Erstmals zweifelt auch der BFH an der Zulässigkeit einer Schätzung nach den Richtsätzen. Er hat daher das BMF aufgefordert, die Kalkulationsgrundlagen der amtlichen Richtsatzsammlung zu erläutern, insbesondere welche Einzeldaten mit welcher Gewichtung einfließen.
Hinweis: Es bleibt abzuwarten, wie der BFH entscheidet. Bis dahin sollten Verfahren, in denen die Finanzbehörden auf Basis der Richtsätze hinzuschätzen wollen, offengehalten werden, um von einer möglichen positiven Entscheidung profitieren zu können.