Steuerliche Berücksichtigung von erwachsenen Kindern mit Behinderung
Eltern von Kindern mit Behinderungen stehen vor vielfältigen Herausforderungen. Der Gesetzgeber hat daher verschiedene Vorschriften erlassen, die eine steuerliche Entlastung ermöglichen sollen. Eine davon ist die Möglichkeit, auch für erwachsene Kinder mit Behinderung über das 18. Lebensjahr hinaus Kindergeld zu beziehen. Doch auch bei dieser und weiteren Regelungen müssen die gesetzlichen Vorschriften genau eingehalten werden, wie der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 10. Juli 2024 (Az.: III R 2/23) betonte.
Voraussetzungen für Kindergeld
Kinder können auch über das 18. Lebensjahr hinaus bei den Eltern steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie weitere Voraussetzungen, wie beispielsweise die Ausbildung für einen Beruf, erfüllen. Doch diese steuerliche Berücksichtigung ist maximal bis zum 25. bzw. 27. Lebensjahr möglich. Für Kinder mit Behinderungen gelten besondere Regeln. Für diese besteht lebenslang ein Anspruch auf Kindergeld, wenn sie wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande sind, sich selbst zu unterhalten. Weitere Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. bzw. 27. Lebensjahres eingetreten ist.
Im Streitfall war der ungeklärte Zeitpunkt des Eintritts der Behinderung ein Punkt, der zur Zurückverweisung des Falls an das Finanzgericht führte. Geklagt hatte eine Mutter, für deren 1959 geborene Tochter mit Behinderung im Jahr 2018 ein Grad der Behinderung von 80 festgestellt wurde. Weiterhin war fraglich, ob die Tochter in der Lage war, sich selbst zu unterhalten. Gestritten wurde zudem darüber, wie die Berechnung der maßgebenden Einkünfte vorzunehmen ist, insbesondere über den Ansatz von behinderungsbedingten Fahrtkosten. In seiner Urteilsbegründung beantwortete der BFH vor allem die beiden letzten Fragen und gab damit wichtige Hinweise für die Praxis.
Wann kann ein Kind sich selbst unterhalten?
Die Voraussetzung „außerstande ist, sich selbst zu unterhalten“ ist im Gesetz nicht definiert. Die Rechtsprechung legt die Voraussetzung so aus, dass ein behindertes Kind dann außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht bestreiten kann.
Dazu werden zwei Werte gegenübergestellt. Einerseits der Grundbedarf (in Form des für den jeweiligen Veranlagungszeitraum geltenden Grundfreibetrags) und der behinderungsbedingte Mehrbedarf. Auf der anderen Seite stehen die finanziellen Mittel des Kindes, beispielsweise aus einer Erwerbsminderungsrente.
Nicht als verfügbare Einnahmen des Kindes zählen bei dieser Berechnung Leistungen, die dem Kind wegen eines behinderungsbedingten Bedarfs zweckgebunden zufließen. Daher werden beispielsweise das Pflegegeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung, Leistungen der Pflegeversicherung oder die Eingliederungshilfe bei der Berechnung nicht berücksichtigt.
Berechnung der maßgebenden Einkünfte
Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst dabei Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben. Dazu gehören alle mit einer Behinderung zusammenhängenden außergewöhnlichen Belastungen, insbesondere solche für Hilfen bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, z.B. Wäsche, Erholung und typische Erschwernisaufwendungen. Diese können einzeln nachgewiesen oder mit dem maßgeblichen Behinderten-Pauschbetrag angesetzt werden. Der Pauschbetrag startet bei einem Grad der Behinderung von mindestens 20 Prozent mit 384 Euro. Maximal ist bei einem Grad der Behinderung von 100 Prozent ein Pauschbetrag von 2.840 Euro möglich. Für hilflose, blinde und taubblinde Menschen erhöht sich dieser auf 7.400 Euro.
Kosten für Sonderbedarf können zusätzlich geltend gemacht werden
Werden die behinderungsbedingten Mehraufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, sondern der maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag angesetzt, können daneben nicht zusätzlich Aufwendungen angesetzt werden. Angesetzt werden kann dagegen ein nicht vom Behinderten-Pauschbetrag erfasster behinderungsbedingter Sonderbedarf. Nicht vom Behinderten-Pauschbetrag abgedeckt werden Operationskosten sowie Heilbehandlungen, Kuren, Arznei- und Arztkosten.
Behinderungsbedingte Fahrtkosten
Im Streitfall reichte die Mutter zunächst eine Einzelaufstellung der angefallenen Fahrten ein, beantragte dann aber im Laufe des Verfahrens, als Teil des behinderungsbedingten Mehrbedarfs, eine monatliche Fahrtkostenpauschale von 75 Euro zu berücksichtigen. Während das Finanzgericht dem stattgab, bezog der BFH die 75 Euro nicht in den behinderungsbedingten Mehrbedarf ein.
Seit dem Veranlagungszeitraum 2021 enthält das Einkommensteuergesetz eine behinderungsbedingte Fahrtkostenpauschale. Für Menschen, die geh- und stehbehindert (GdB von mindestens 80 oder GdB von mindestens 70 und Merkzeichen G) sind, ist eine Angemessenheitsgrenze von 3.000 km vorgesehen, was einem Pauschbetrag von 900 Euro, monatlich also 75 Euro, entspricht. Genau diesen Pauschbetrag wollte die Mutter für das Streitjahr 2018 berücksichtigen.
Der Abzug der Fahrtkostenpauschale scheitert laut BFH jedoch daran, dass diese für den Veranlagungszeitraum 2018 noch keine Anwendung findet. Das Finanzgericht hätte daher näher aufklären müssen, welche tatsächlichen Fahrten zu welchem Zweck in welcher Häufigkeit stattgefunden haben und inwieweit diese behinderungsbedingt sind.