Voraussetzungen des Teileinkünfteverfahrens
Wer an die Besteuerung von Kapitalerträgen denkt, dem fällt vermutlich als erstes die sogenannte Abgeltungsteuer ein. Dabei werden nach Überschreiten des Sparerpauschbetrags von 1.000 Euro (2.000 Euro für Ehepaare) von den Bruttoeinnahmen 25 Prozent Einkommensteuer (zuzüglich Solidaritätszuschlag und ggf. zuzüglich Kirchensteuer) direkt an der Quelle einbehalten. Wie hoch der individuelle Steuersatz ist, ist in diesem Fall egal. Das ist bequem und die bereits versteuerten Einnahmen muss der Steuerpflichtige in seiner Einkommensteuererklärung grundsätzlich nicht mehr angeben. Nachteilig dabei ist, dass aber auch keine tatsächlichen Werbungskosten angegeben werden können. Anders beim sogenannten Teileinkünfteverfahren, welches bei bestimmten Kapitalerträgen anwendbar ist. Doch das Teileinkünfteverfahren birgt auch Streitpotenzial, wie die beiden Urteile des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 19. September 2024 (VIII R 2/24 und VIII R 37/23) zeigen.
Ausnahmen von der Abgeltungsteuer
Zunächst ist wichtig, dass die Regelungen zur Abgeltungsteuer nur für private Kapitalanlagen gelten. Werden Kapitalanlagen im Betriebsvermögen gehalten oder sind den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zuzurechnen, gilt die Abgeltungsteuer nicht. Dann ist der individuelle Steuersatz anzuwenden. Aber auch bei privaten Kapitalanlagen ist die Abgeltungsteuer nicht in allen Fällen anzuwenden. Beispielsweise, wenn bei Darlehenszinsen Gläubiger und Schuldner einander nahestehende Personen sind.
Teileinkünfteverfahren auf Antrag
Die Abgeltungsteuer kann aber auf Antrag auch „abgewählt“ werden und die Anwendung des sogenannten Teileinkünfteverfahrens beantragt werden. Beim Teileinkünfteverfahren werden 60 Prozent der Einnahmen mit dem individuellen Steuersatz besteuert. Dafür dürfen auch 60 Prozent der damit in Zusammenhang stehenden Aufwendungen als Werbungskosten abgezogen werden.
Erste Voraussetzung für die Anwendung des Teileinkünfteverfahrens ist, dass es sich um Kapitalerträge aus einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft handelt, beispielsweise einer GmbH. Zudem muss der Steuerpflichtige in dem Jahr, in dem der Antrag erstmals gestellt wird, unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 25 Prozent an der Kapitalgesellschaft beteiligt sein. Alternativ reicht eine Beteiligung von mindestens 1 Prozent an der Kapitalgesellschaft aus, wenn der Steuerpflichtige durch eine berufliche Tätigkeit für diese maßgeblichen unternehmerischen Einfluss auf deren wirtschaftliche Tätigkeit nehmen kann.
Antragsvoraussetzungen müssen im ersten Jahr vorliegen
Der Antrag gilt für die jeweilige Beteiligung erstmals für den Veranlagungszeitraum, für den er gestellt worden ist. Er ist spätestens zusammen mit der Einkommensteuererklärung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum zu stellen. Dieser Antrag gilt, solange er nicht widerrufen wird, auch für die folgenden vier Veranlagungszeiträume, ohne dass die Antragsvoraussetzungen erneut zu belegen sind. Nach einem Widerruf ist ein erneuter Antrag des Steuerpflichtigen für diese Beteiligung an der Kapitalgesellschaft nicht mehr zulässig.
In den beiden Streitfällen des BFH lagen die Antragsvoraussetzungen im ersten Jahr unstreitig vor. Die beiden Steuerpflichtigen waren an den GmbHs zu 40 Prozent bzw. einem Drittel und damit zu mehr als 25 Prozent beteiligt. Die Anträge auf Anwendung des Teileinkünfteverfahrens wurden auch in den entsprechenden Einkommensteuererklärungen gestellt. Warum also gab es Streit?
Werbungkostenabzug bei Wegfall der Antragvoraussetzungen
Das Erstjahr war unproblematisch, doch beide Steuerpflichtige hatten ihren GmbH-Anteil fremdfinanziert. Für das Darlehen zahlten sie jeweils Zinsen. Diese waren zu 60 Prozent als Werbungskosten abzugsfähig. Doch bereits im ersten Jahr des Fünfjahreszeitraums veräußerten beide Steuerpflichtige ihre Beteiligung. Es verblieb jeweils ein Restdarlehen auf das die Steuerpflichtigen weiter Zinsen zahlten. Und diese Zinszahlungen wollten sie natürlich weiterhin als Werbungskosten bei den Kapitaleinkünften geltend machen wollten. Das Finanzamt lehnte den Abzug ab und bezog sich hierbei auf ein Schreiben der Finanzverwaltung vom 19. Mai 2022, Tz. 139: „Es ist ausreichend, dass die notwendige Beteiligungsquote zu irgendeinem Zeitpunkt in dem Veranlagungszeitraum, für den der Antrag erstmals gestellt wird, vorliegt. Wird die Beteiligungsquote in einem auf die erstmalige Antragstellung folgenden Jahr nicht mehr erreicht, entfaltet die vorher ausgeübte Option keine Wirkung mehr.“ Das Einkommensteuergesetz beinhalte insoweit lediglich eine Nachweiserleichterung und ersetze nicht die Tatbestandsvoraussetzungen.
BFH urteilt zu Gunsten der Steuerpflichtigen
Der BFH sah das anders. Für die Bundesfinanzrichter war allein der Wortlaut des Gesetzes entscheidend. Verwaltungsanweisungen sind für Gerichte nicht bindend. Nach der Entscheidung des BFH ist nach einer wirksamen Antragstellung das Vorliegen der materiell-rechtlichen Antragsvoraussetzungen für das Teileinkünfteverfahren in den folgenden vier Veranlagungszeiträumen vom Finanzamt zu unterstellen. Die Beteiligungsvoraussetzungen müssen nur für das erste Antragsjahr erfüllt sein; ihr Wegfall in einem der folgenden vier Veranlagungszeiträume ist unerheblich. Nachlaufende Beteiligungsaufwendungen sind demnach in Höhe von 60 Prozent auch dann als Werbungskosten abziehbar, wenn der Anteilseigner die Beteiligung im ersten Antragsjahr veräußert und in den folgenden vier Veranlagungszeiträumen ausschließlich Aufwendungen anfallen.
Fazit: Auch wenn die Urteile positiv für die Steuerpflichtigen ausgingen, sollten sich andere Kapitalanleger nicht zu früh freuen. Denn erfahrungsgemäß ist die Finanzverwaltung oftmals bestrebt, unliebsamen BFH-Urteilen durch eine Gesetzesänderung zu begegnen. Ob dies in diesem Fall auch so sein wird, bleibt abzuwarten.