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Nachhaltige Landwirtschaft: Gemeinsam durch das Labyrinth der EU-Agrarförderung

Die Spielregeln der europäischen Landwirtschaft haben sich 2023 von Grund auf geändert. Die EU-Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) soll die ökologische Transformation vorantreiben. Doch die meisten Landwirte sind von der Bürokratie heillos überfordert.
Nachhaltige Landwirtschaft: Gemeinsam durch das Labyrinth der EU-Agrarförderung
Aktuelles
15.02.2024 — Lesezeit: 6 Minuten

Nachhaltige Landwirtschaft: Gemeinsam durch das Labyrinth der EU-Agrarförderung

Die Spielregeln der europäischen Landwirtschaft haben sich 2023 von Grund auf geändert. Die EU-Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) soll die ökologische Transformation vorantreiben. Doch die meisten Landwirte sind von der Bürokratie heillos überfordert.

Benjamin Hummel war bereit. Der Agrarberater war gleich morgens auf dem Hof von Landwirt Lars Hentschel angekommen, der Laptop lief, die Luftbilder lagen auf dem Schreibtisch. Auch das Onlineportal für die EU-Agrarförderung funktionierte Anfang Mai endlich mal. Jetzt musste er nur noch seinen jungen Mandanten davon überzeugen, sich mit ihm zusammenzusetzen. Und das war gar nicht so einfach.

Benjamin Hummel - Branchenleitung ETL Agrar&Forst
© Florian Reimann

Lars Hentschel - Landwirt
© Florian Reimann

Lars Hentschel war an diesem Morgen in Gedanken weit weg von der EU-Landwirtschaftspolitik und seinem Berater. Stattdessen dachte er an seine Traktoren, seine Aushilfen und vor allem an seinen Spargel. 130 Erntehelfer, Fahrer und Verkäufer waren von Ende April bis Mitte Juni auf dem Beelitzer Spargelhof Elsholz in vollem Einsatz, um rund 300 Tonnen der weißen, grünen und violetten Stangen zu stechen. Ein ruhiges Gespräch unter vier Augen war kaum möglich. Agrarexperte Hummel erinnert sich: „Es gab keine zehn Minuten, in denen nicht das Handy geklingelt hat oder jemand mit einer Frage reingekommen ist.“
 

Bauern stoßen bei der EU-Agrarförderung auf Hürden

 
Die knallharten Fristen für Landwirte, die Geld von der EU erhalten wollten, seien in 2023 wegen der vielen neuen Vorschriften eine besondere Herausforderung gewesen, sagt Hummel. Grund dafür ist die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Als einer der Hauptbestandteile des Europäischen Green Deal soll sie die EU auf dem Weg zur Klimaneutralität voranbringen. Die EU-Agrarförderung bietet daher immer mehr Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen an, fördert die Artenvielfalt und den Erhalt natürlicher Landschaften. Für die Landwirte in der EU heißt das: Sie müssen ihr Wirtschaften auf den Prüfstand stellen.

Die Reform bringt zudem eine ganz neue Sprache mit sich. Da geht es um Konditionalität, GLÖZ-Standards, freiwillige Ökoregelungen und Agrarumwelt-Klimamaßnahmen. Manchmal kommt sich Benjamin Hummel vor wie ein Übersetzer zwischen Politik und Praxis. Als studierter Agrarwissenschaftler versteht er, dass Mandanten wie Lars Hentschel ihre Zeit lieber auf dem Feld als vor dem Computer verbringen. Als Berater weiß er aber auch, dass kaum ein Landwirt ohne EU-Fördermittel überleben kann. Wer bis zum 15. Mai eines Jahres keinen Förderantrag gestellt hat, geht Ende des Jahres bei der Förderung leer aus. Die Erntetermine der Brandenburger Spargelbauern interessieren in Brüssel wenig.
 

Neue Gemeinsame Agrarpolitik sorgt für zusätzlichen Aufwand

 
„Ich musste Lars buchstäblich im Büro festhalten“, lacht Benjamin Hummel. Der 28-jährige Junglandwirt lächelt zurück und sagt: „Ohne deine Hilfe wäre ich verzweifelt.“ Denn neben der Arbeit auf den 160 Hektar großen Flächen des Familienbetriebs, dem Management der Mitarbeitenden, dem Hofladen, dem Café und dem Onlineshop, musste er sich auch noch in die hoch komplizierten Vorgaben aus Brüssel hineindenken.

Hofladen Spargelhof Elsholz
© Florian Reimann

Lars Hentschel im Spargelhof Elsholz
© Florian Reimann

 

Zum Beispiel in die neue Förderlinie für Vielfalt auf dem Feld. Dafür müssen Landwirte mindestens fünf verschiedene Hauptfruchtarten anbauen: Roggen, Sonnenblumen, Kartoffeln, Kürbis und Erbsen zum Beispiel. Aber jede einzelne Frucht darf nur zwischen zehn und dreißig Prozent der Fläche einnehmen. Also saßen Hentschel und sein Berater über digitalen Luftbildern und schoben wie bei einem Puzzlespiel Früchte auf den Flächen umher. Danach zogen sie sich die Arbeitsstiefel an und überprüften draußen, ob ihre Puzzleteile auch in der Realität zusammenpassten.

„Am Anfang habe ich noch Witze gemacht, dass die neue GAP ein Konjunkturpaket für die Beraterbranche ist“, erzählt Benjamin Hummel. Doch der Spaß sei ihm bald vergangen. März, April und Mai seien „der blanke Horror“ gewesen. Hummel schaffte es, alle Förderanträge seiner Mandanten fristgerecht einzureichen. Aber er gibt zu: „Das hat uns ganz schön ins Rudern gebracht.“

Externe Beratung hilft bei der EU-Agrarförderung

Seit sieben Jahren ist er bei der Steuerberatungsgruppe ETL Ansprechpartner für Landwirte und Forstbesitzer. Er kümmert sich vor allem um die betriebswirtschaftliche Beratung. Er ist aber auch Kontaktperson bei der konkreten Anbauplanung oder beim Berechnen von Stoffstrombilanzen, mit denen der Gesetzgeber kontrolliert, wie viel Dünger ein Landwirt einsetzt.

Daneben will er seine Mandanten sicher durch das Labyrinth der EU-Agrarpolitik leiten und einen Bezug zur Wirklichkeit schaffen. Er schreibt FAQ’s, in denen er die GAP-Neuerungen in die Praxis übersetzt, und macht den Landwirten in Online-Seminaren klar, worauf sie achten müssen. Denn ohne Beratung, da sind sich Branchenkenner einig, geht es kaum. Ein falscher Haken im Förderantrag kann viel Geld kosten. Und die große Auswahl an sogenannten freiwilligen Ökoregelungen sowie Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen macht es schwer, den Überblick über die GAP zu behalten.

Manche Landwirte haben vor den geänderten Spielregeln und den vielen in letzter Minute getroffenen Entscheidungen resigniert – sie stellten weniger Anträge als gedacht. Laut einer Umfrage des Fachmagazins „agrarheute“ hat jeder zehnte Befragte 2023 gar keinen Antrag abgegeben. Nur fünf Prozent der Befragten fühlen sich gut informiert.

Dabei wäre es laut Agrarexperten wie Hummel ein wichtiger Erfolg der GAP-Reform, wenn sie ökonomischen Erfolg und ökologische Transformation vereinen könnte. Grundsätzlich weise die GAP der EU den richtigen Weg, sagt Hummel. Sie verbiete zum Beispiel das Spritzen und Düngen an den Rändern von Gewässern, um die sensiblen Ökosysteme mit Insekten, Fischen und Pflanzen zu schützen. „Das sind Aspekte, die Sinn machen für die Natur, für die Bäuerinnen und Bauern und für uns als Gesellschaft“, sagt er.

ETL Agrar&Forst - 10 Fragen, 11 Anworten
© Florian Reimann

Nachhaltige Landwirtschaft baut auf Agrarförderung

Auch Lars Hentschel steht hinter der ökologischen Transformation der Landwirtschaft. Er legt seit vielen Jahren Blühstreifen für Insekten, Wildbienen und Schmetterlinge an. Wo es geht, spart er Dünger und Pflanzenschutz und verkauft an seinen Ständen Spargel oder Kartoffeln am liebsten unverpackt. Es wäre ihm am liebsten, wenn der Handel den Umweltschutz über faire Preise mit finanzierte. Doch solange das ein Wunschtraum ist, sieht er die EU-Agrarpolitik mit ihren gewaltigen Fördersummen als ein unvermeidliches Übel. Auch weil die Bürokratie laut Hentschel immer schlimmer werde.

Erst wenn er den Bescheid am Jahresende erhalten hat, wird Lars Hentschel endlich wissen, wie hoch die EU-Förderung für 2023 ausgefallen ist. In der Zwischenzeit hat er mit Benjamin Hummel schon einige Ideen entwickelt, wie es weitergehen könnte. Dabei steht an erster Stelle, wie sie den Spargelhof Elsholz in Einklang mit der Natur bringen und ihn mit wirtschaftlichem Erfolg in die Zukunft führen können.

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Autor*in: Julia Graven

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