Europäische Patentinhaber müssen dringend handeln
Viele Jahre wurde die Änderung verschoben, nun wird es wohl ab dem ersten April 2023 ernst: das europäische Einheitspatent und Einheitspatentgericht (UPC) tritt in Kraft. Durch den EU-weiten Zusammenschluss soll eine zentrale Anlaufstelle für europäische Patente mit einheitlicher Wirkung geschaffen werden, mit der gleichzeitig der Kostenfaktor und der administrative Aufwand sinken sollen. Dies aber ggf. um den Preis eines höheren Risikos des Verlustes dieser Patente. ETL IP Patentanwalt Dr. Jörn Plettig weiß, welche Neuerungen durch diese Einführung auf Patentinhaber zukommen und was die nächsten wichtigen Schritte sind.
Nach dem aktuell geltenden europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) sind neben den 27 EU-Ländern auch sogenannte Vertragsstaaten wie die Türkei und Albanien davon erfasst. Bisher ist es so, dass nach Erteilung eines Europäischen Patents, dieses in den EPÜ-Vertragsstaaten von Interesse erst validiert werden muss. Daraufhin zerfällt das EP-Patent in ein Bündelpatent aus nationalen Teilen, die für sich stehen und einzeln auf nationaler Ebene durchgesetzt bzw. beklagt werden müssen. Eine erfolgreiche Nichtigkeitsklage in Frankreich beispielsweise führt damit nicht automatisch zu einer erfolgreichen Nichtigerklärung des parallelen deutschen Teils.
Ab dem ersten April 2023 ändert sich das – und zwar automatisch für all ihre bestehenden und in Kraft befindlichen EP-Patente. Das Einheitspatentgericht und damit das europäische Einheitspatent treten in Kraft und sorgen dafür, dass Patentinhaber nicht mehr pro Land kämpfen, sondern in den ratifizierten EU-Staaten, quasi „gesamteuropäisch“. Im Gegensatz zum EPÜ ist die neue Regelung allerdings auf die ratifizierten EU-Mitgliedsstaaten begrenzt, wobei Spanien und Kroatien derzeit noch keine finale Entscheidung über ihre Beteiligung getroffen haben. 17 EU-Länder sind jedoch schon direkt ab April 2023 dabei, darunter auch Deutschland. Weitere 8 EU-Staaten befinden sich noch im Ratifizierungsverfahren und werden nachträglich folgen. Deutschland wird voraussichtlich zum 19. Dezember 2022 ratifizieren, sodass das Einheitspatent und -gericht ab dem ersten April greift.
„Um sich dieser sonst zwangsweisen Gerichtsbarkeit des Einheitspatentgerichts zu entziehen, besteht ab dem 1. Januar 2023 dringender Handlungsbedarf bei den Patentinhabern mit bereits erteilten EP-Patenten“, betont Dr. Jörn Plettig, denn zum neuen Jahr beginnt die sogenannte Sunriseperiod, in der Übergangsmaßnahmen den Umstieg auf das europäische Einheitspatent und -gericht erleichtern sollen. Während des ersten Quartals 2023 haben EP-Patentinhaber bis einschließlich zum 31. März die Möglichkeit, einen Antrag gegen die Gerichtsbarkeit des europäischen Einheitspatents zu stellen und sich somit der neuen Regelung zu entziehen. Aufgrund des hohen administrativen Aufwands rät Jörn Plettig dazu, sich bis Weihnachten zu überlegen, welche EP-Patente ausoptiert werden sollen: „Für die wenigsten wird die Zuständigkeit des Einheitspatentgerichts in Frage kommen, sodass der überwiegende Anteil der Patentinhaber dieser Gerichtsbarkeit widerspricht, sog. „opt-out“. Wichtig ist zu wissen, dass diese bestehenden EP-Patente gar keine einheitliche Wirkung entfalten können. Dies geht nur mit zum ersten April 2023 erteilten EP-Patenten. In diesem Zuge ist eine weitere Übergangsmaßnahme, dass zur Erteilung befindliche EP-Patente bis zum Inkraftreten der einheitlichen Wirkung hinausgezögert werden können, um dann einen Antrag darauf zu stellen.
Die Vor- und Nachteile des europäischen Einheitspatents sind für jedes Patent individuell abzuwägen. Für die neue Regelung sprechen einerseits die geringeren Kosten für Jahresgebühren und Übersetzungen. Während aktuell für jedes Land einzeln abgerechnet wird, muss dann nur noch eine Gebühr an das EPA bezahlt werden. Auch die Übersetzungskosten schrumpfen, da nur noch zwei Übersetzungen eingereicht werden müssen (Deutsch, Englisch oder Französisch). Ein weiterer Vorteil besteht bei Verletzungs- und/oder Nichtigkeitsklagen auf EU-Ebene: Statt in jedem Land einzeln zu kämpfen, werden die Klagen vor einem Einheitspatentgericht gebündelt. Dies ist kostengünstiger und mit weniger administrativem Aufwand verbunden. Beispielsweise ist angedacht, dass Urteile innerhalb eines Jahres ab Prozessbeginn gefällt würden.
Allerdings birgt das europäische Einheitspatent auch ein großes Risiko. Schlimmstenfalls kann eine einzige Klage dafür sorgen, den gesamten EU-Markt zu verlieren, denn Entscheidungen gelten EU-weit in den komplett ratifizierten EU-Staaten und nicht mehr pro Land, wie bisher. Die größte Herausforderung aber ist die noch zu entwickelnde Spruchpraxis für das Einheitspatentgericht. Es handelt sich hierbei um ein völlig neues und damit sehr junges Gericht mit neuen Richtern und Institutionen. Unklar ist auch noch, welche Rechtsprechung als Maßstab herangezogen würde.
Aus all den vorgenannten Gründen, empfiehlt Dr. Jörn Plettig ganz klar in den meisten Fällen ein „opt-out“ aus der Einheitspatentgerichtsbarkeit: „Patentinhaber müssen für jedes einzelne EP-Patent aktiv widersprechen, damit nur das EPÜ weiterhin für sie gilt. Die beiden Systeme existieren schließlich parallel. Zudem hat man einmalig die Möglichkeit, seine Entscheidung später zu ändern und doch in ein „opt-in“ zu gehen.“